Neues aus Sportdeutschland

„Sport und Kirche sind die wichtigsten Antidepressiva, die wir haben“

DOSB: Frau Lüke, Herr Latzel, worin sehen Sie die wichtigsten gesellschaftlichen Werte, die Kirche und Sport heute verkörpern?

Katja Lüke: Kirche und Sport stehen für etwas sehr Fundamentales: für den Menschen. Für seine Würde, seine Rechte, seine Zugehörigkeit zur Gemeinschaft. Wir im Sport erleben täglich, was Gemeinschaft bedeutet, wenn Menschen verschiedenster Herkunft zusammen auf dem Platz stehen, sich im Wettkampf begegnen oder sich im Ehrenamt engagieren. Für mich sind die wichtigsten Werte Fair Play und Gerechtigkeit. Der Sport ist eine Bewegung für Zusammenhalt, genauso wie die Kirche. Was uns verbindet, ist die klare Ausrichtung auf Gemeinwohlorientierung, Teilhabe und Verantwortung füreinander. Das sind keine Floskeln - das ist das Rückgrat einer offenen, demokratischen Gesellschaft.

Thorsten Latzel: Im Sport lernt man neben Gemeinschaft auch einen regelbasierten Wettkampf und die Freude am zweckfreien Spiel. Das sind Dinge, die auch für uns als Kirche wichtig sind. Als Glaubensgemeinschaft zeichnet uns das Vertrauen auf Gott und die Liebe zum Mitmenschen aus, sie ist prägend, selbst gegenüber dem Gegner. Mit anderen zu erleben, dass ich von Gott tiefengeliebt bin und dass es im Leben zugleich um mehr geht als nur um mich selbst, darum geht es in der Kirche. Und davon können Menschen auch etwas im Sport erfahren. Hier wie dort erleben Menschen, die neu dazukommen, Lebensfreude, Gemeinschaft und Integration. Es zählt der Mensch einfach als Mensch. Und wir lernen, warum es gut und wichtig ist, sich einander zuzuwenden.

Wie hat sich das Ansehen der beiden Institutionen im Laufe dieses Jahrhunderts verändert und worin liegt diese Veränderung begründet?

Latzel: Im Sport sehe ich verschiedene Veränderungen. Der Spitzensport erlebt eine weiter zunehmende Kommerzialisierung, im Breitensport sehen wir eine hohe Pluralisierung von Sportarten, Vereinssport spielt weiter eine wichtige Rolle, zugleich wird er zum Teil von kommerziellen Anbietern überlagert, wo soziale Werte keine so große Rolle mehr spielen. Auch in den Kirchen erleben wir tiefgreifende Veränderungen. Ein traditionelle Kirchenbindung geht zurück, zugleich gibt es ein wachsendes Bedürfnis nach Sinnstiftung. Viele Menschen nehmen die Welt als „verrückt“ wahr und suchen Orientierung für ihr eigenes Leben. Es ist längst nicht mehr selbstverständlich, dass in den Familien der Glaube weitergegeben wird. Deshalb stehen wir immer wieder aufs Neue vor der Aufgabe, jüngeren Generationen Hoffnung zu vermitteln und sie für ein Miteinander zu begeistern. Wir müssen jeden Jahrgang neu gewinnen.

Lüke: Die Menschen schauen heute genauer hin - und das ist gut so. Gesellschaftliche Akteure wie Kirche und Sport stehen zu Recht unter Beobachtung: Wie ernst nehmen wir unsere Werte? Wie glaubwürdig leben wir sie? Es geht nicht mehr nur darum, dass Siege errungen werden, sondern wie. Der Sport wird nicht mehr nur an Leistung gemessen. Wir spüren, dass unsere Stimme Gewicht hat – gerade wenn es um Menschenrechte, Vielfalt oder Integration geht. Gleichzeitig wissen wir: Vertrauen entsteht durch Haltung. Und durch das, was wir tun, nicht nur sagen. In dieser Hinsicht hat der Sport in den vergangenen Jahren stark an Profil und Stimme gewonnen – nicht trotz der Herausforderungen, sondern durch sie.

Latzel: Diese höhere Sensibilisierung ist wichtig. In beiden Bereichen kommen sich Menschen sehr nah. Im Sport körperlich, in der Kirche etwa in der Seelsorge. Umso wichtiger ist die konsequente Achtung von Grenzen. Wir müssen den Blick schärfen, zum Beispiel bei Fragen zu Diversität, zu Schutzkonzepten und beim Bewusstsein für Grenzverletzungen. Da verändern sich im Sport Haltungen, wie wir im vergangenen Jahr gesehen haben, als der spanische Fußball-Präsident Luis Rubiales eine Spielerin nach dem WM-Triumph auf den Mund küsste und dafür zu Recht zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Auch in der Kirche haben wir nicht mehr das Amtsverständnis von früher, wir schauen bewusst hin, wo Verletzungen oder Grenzüberschreitungen passieren. Unser Auftrag ist, ein möglichst sicherer Ort für alle Menschen zu sein und Fälle von Machtmissbrauch konsequent aufzuarbeiten. Machtmissbrauch hat in der Kirche wie im Sport nichts zu suchen. Es ist notwendig, dass wir uns dem bewusst stellen und die Schuld- und Schattenseiten unserer Institutionen aufarbeiten.

Lüke: Auch wir sind uns dieser Verantwortung sehr bewusst. Machtmissbrauch darf es nicht geben, deswegen entwickeln wir Konzepte wie den Safe Sport Code, den der DOSB als erste zivilgesellschaftliche Organisation in Deutschland im Dezember vergangenen Jahres auf seiner Mitgliederversammlung implementiert hat. Gemeinsam mit unseren Mitgliedsorganisationen arbeiten DOSB und dsj daran, Schutzmaßnahmen im Sport weiter zu stärken und ein sicheres Umfeld für alle Beteiligten zu schaffen. Der Safe Sport Code wird vom DOSB als sportartübergreifendes Musterregelwerk für alle Verbände und Vereine im organisierten Sport zur Verfügung gestellt, damit diese ihn für sich nutzen können. Die Einführung des Codes sendet ein Zeichen an potenzielle Täter*innen und Betroffene, dass Gewalt im Sport keinen Platz hat und bei uns nicht toleriert wird.

Event-Inklusionsmanager*in im Sport: Louis Kleemeyer

Seit 2023 ist Louis Kleemeyer beim Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverband (adh) als Event-Inklusionsmanager (EVI) angestellt und begleitet die Ausrichtung der Rhine-Ruhr 2025 FISU World University Games, die Weltspiele der Studierenden. Neben 18 olympischen Disziplinen wird dort 2025 mit 3x3 Rollstuhlbasketball erstmals eine Para Sportart ins Wettkampfprogramm aufgenommen. Das allein macht aber keine inklusive Veranstaltung aus. Das Inklusionsteam der Rhine Ruhr 2025 zieht im Hintergrund die Fäden, um die Teilhabe und das Eventerlebnis für möglichst alle zu schaffen.

Generell, so Kleemeyers Eindruck, könne der Hochschulsport dennoch offener werden für Menschen mit Behinderungen: Seine Hoffnung sei, dass die Ideen, die kurzfristig für die FISU World University Games entstehen, langfristig Anwendung im adh finden.

Sein Know-how wolle er auch danach bei weiteren großen Sportveranstaltungen einbringen. Schon jetzt liebäugelt er mit den Special Olympics World Winter Games, die 2029 in der Schweiz stattfinden.

Fit für das Deutsche Sportabzeichen? - Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick 

Jedes Jahr legen Hunderttausende Menschen in Deutschland das Deutsche Sportabzeichen ab - als persönliche Herausforderung, als Teamerlebnis oder im Rahmen von Schule, Verein oder Betrieb. Doch wie funktioniert das eigentlich genau? Welche Disziplinen sind zu absolvieren? Und was sollte man vorab wissen? Wir haben die häufigsten Fragen gesammelt und verständlich beantwortet – für alle, die 2025 selbst durchstarten wollen. 

1. Was ist das Deutsche Sportabzeichen?

Das Deutsche Sportabzeichen ist eine Auszeichnung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) für überdurchschnittliche sportliche Leistungsfähigkeit. Es kann von Kindern ab 6 Jahren, Jugendlichen und Erwachsenen mit und ohne Behinderungen erworben werden - unabhängig von einer Vereinszugehörigkeit. 

2. Welche Disziplinen muss man absolvieren?

Die Prüfung besteht aus vier Bereichen: 
• Ausdauer 
• Kraft 
• Schnelligkeit 
• Koordination 
Aus jeder Kategorie ist eine Disziplin zu absolvieren. Zusätzlich ist der Nachweis über die Schwimmfertigkeit erforderlich. 

3. Welche Leistungen muss ich erbringen?

Die Anforderungen richten sich nach Alter, Geschlecht und Behinderungen. Für jede Disziplin gibt es Leistungsstufen in Bronze, Silber und Gold. Eine Übersicht über alle Anforderungen findest du unter: www.sportabzeichen.de

Generationen im Dialog - die Potenziale der Älteren im Sport

In Sportvereinen und -verbänden begegnen sich die Generationen. Meist ist es friedliches Mit- und Nebeneinander. Doch auch immer wieder keimen Konflikte auf: Warum brauchen Ältere noch Hallenzeiten am Abend? Wer hat im Verein das Sagen? Und warum können Vorstandssitzungen nicht grundsätzlich digital durchgeführt werden? Ist das Erfahrungswissen der Älteren noch gefragt oder wird ihnen gezeigt, wie sehr sie von gestern sind? Oder sind die Älteren unverzichtbar und mit ihren Zeitressourcen eine der wichtigsten Zielgruppen für die ehrenamtliche Gestaltung der Strukturen? 

Ageismus - Altersdiskriminierung im Sport

Eine Dimension der Vielfalt ist das Alter und damit natürlich auch die Altersdiskriminierung. Der sog. Ageismus tritt dann auf, wenn Menschen aufgrund ihres Alters auf bestimmte Weise bewertet oder behandelt werden, obwohl die entsprechende Beurteilung oder Behandlung nicht gerechtfertigt ist. Meist sind dies gefühlsmäßige Bewertungen, wie z.B. dass die Jüngeren wie die sog. Generation Z nicht mehr arbeiten will oder ältere Menschen grundsätzlich nicht gut hören, nicht schnell begreifen und deshalb keine Neuerungen zulassen.

Altersvielfalt als Chance

Dabei ist das Alter heute mindestens so vielfältig wie andere Lebensphasen. Auch wenn es oftmals mit negativen Vorstellungen und Defiziten verbunden wird: Viele Ältere wollen und können ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten auch noch im hohen Alter einbringen. Deshalb gehören Altersgrenzen für die Ausübung bestimmter Tätigkeiten oder die Verweigerung des Zugangs zu Dienstleistungen auf den Prüfstand. Ältere haben ein Recht auf gleiche Chancen und auf eine respektvolle Behandlung in allen Lebensbereichen, auch wenn in unserer Gesellschaft das Leitbild des leistungsfähigen, fitten, flexiblen und jederzeit verfügbaren Menschen dominiert. Aktuell kämpft die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) dafür, dass das Wort „Lebensalter“ in den Artikel 3 des Grundgesetzes aufgenommen wird. 

Ein Beispiel hierfür ist die Digitalisierung, die sehr positiv ist, wenn sie nutzerfreundlich und zugänglich gestaltet wird. Allerdings muss gesichert sein, dass Menschen, die analoge Zugänge zu Informationen und Dienstleistungen benötigen, diese auch bekommen. Eine „Digital-only-Strategie“, wie sie vom bisherigen Digitalminister Wissing gefordert wurde, schließt Menschen von der Teilhabe am öffentlichen Leben aus.

Die Ressource der Älteren

Doch die Älteren sind nicht nur die „Verlangsamungsbremse“ in einer sich rasend schnell wandelnden Gesellschaft, gerade sie bringen wichtige Ressourcen ein, um eine für alle Generationen lebenswerte Zukunft mitzugestalten. Sie haben gelernt, mit Belastungen umzugehen, Unsicherheiten auszuhalten und Widerstände zu überwinden. Sie können mit der daraus gewonnenen Resilienz Jüngeren Mut machen, mit Veränderungen, Einschränkungen und Verlusten umzugehen und zu vermitteln, dass es sich lohnt, mit Zuversicht und Selbstvertrauen an Aufgaben heranzugehen, für die es noch keine erprobten Lösungen gibt. Sie wissen, dass es sich auszahlt, auch bei Rückschlägen und Scheitern nicht aufzugeben, sondern für Verbesserungen zu kämpfen. Allerdings sind die Älteren nicht nur die finanziell gut abgesicherten Menschen, die sich ständig auf Reisen befinden. Heute sind mehr Menschen von Altersarmut bedroht als vor zehn Jahren. Altersarmut verhindert soziale Teilhabe und führt nicht selten zu Isolation und Einsamkeit. Auch finanziell schlechter gestellte Menschen sollten die Chance haben, Angebote in den Sportvereinen zu nutzen.

Das Alter ist eine Lebensphase mit besonderen Bedürfnissen und Herausforderungen, Kompetenzen und Ressourcen - womit der Brückenschlag zur Jugend schon gegeben ist. Und alt werden wollen wir doch schließlich alle…..

 

Ein Elfjähriger berührt die Sportfans im Herzen

Jürgen Klopp in den Schatten zu stellen, das ist eine Herkules-Aufgabe. „The normal one“, wie sich die deutsche Fußballtrainer-Legende 2015 bei Amtsantritt in Liverpool selbstironisch bezeichnet hatte, ist es gewohnt, mit seiner Eloquenz und Präsenz alle zu überstrahlen. Am Donnerstagabend jedoch, da kam Herkules in Gestalt eines elfjährigen Jungen daher. Noah Steinert, Schüler aus Ilmenau in Thüringen, berührte die 130 Gäste, die anlässlich der Verleihung des Fair Play Preises des Deutschen Sports zum „Biebricher Schlossgespräch“ nach Wiesbaden gekommen waren, im Herzen. Als er mit seinem Freund Karl Sauerbrey auf der Bühne in der Rotunde des Schlosses die Momente schilderte, die ihn zum Hauptpreisträger des Abends gemacht hatten, konnte jeder nachvollziehen, was Laudatorin Michelle Kroppen zuvor in Worte gefasst hatte: „Du hast alle inspiriert, die von deiner Geschichte gehört haben. Du hast mich und viele andere ins Herz getroffen.“

Noah war am 29. Mai des vergangenen Jahres beim Sportfest der Staatlichen Grundschule „Thomas Müntzer“ in Ilmenau im Crosslauf um den Ententeich in der Führungsgruppe gelaufen, hatte dann aber in der zweiten von drei Runden auf seinen angeschlagenen Mitschüler Karl gewartet, um ihm ins Ziel zu helfen. Seine Siegchancen büßte Noah damit zwar ein. Die Herzen vieler Sportfans aber hat er mit seiner Aktion gewonnen. „Ein Grundschüler, der seinen sportlichen Erfolg unterordnet, um einem verletzten Freund zu helfen: Das ist eine zugleich bemerkenswerte wie berührende Geste, welche die Werte des Sports herausragend symbolisiert. Damit hat er schon in jungen Jahren ein vorbildliches Verhalten bewiesen“, sagte der Jury-Vorsitzende Prof. Dr. Manfred Lämmer, Vorstandsmitglied der Deutschen Olympischen Akademie (DOA), die gemeinsam mit dem Hessischen Ministerium für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege (HMFG) als Ausrichter des Abends fungierte.

Michelle Kroppen hält Laudatio auf Noah Steinert

Weil Noah, der in Begleitung seiner Eltern Jana und Christoph Steinert angereist war, leidenschaftlicher Bogenschütze bei der SG 1723 Langewiesen ist, freute er sich sehr darüber, dass ihn eine zweifache Olympiamedaillen-Gewinnerin aus seinem Sport ehrte. Dabei war schwer auszumachen, wer von beiden vorher aufgeregter war. „Ich habe noch nie eine Laudatio gehalten und mag es nicht, vor vielen Menschen zu sprechen“, sagte Michelle Kroppen, die dann aber so souverän ablieferte wie im vergangenen Jahr in Paris beim Silbergewinn im Mixed. „Manchmal zeigt sich wahre Größe nicht darin, als Erster ins Ziel zu laufen. Du hast deinen Erfolg hinten angestellt und Sportlichkeit gezeigt, wie wir sie uns wünschen“, sagte sie. Das Publikum dankte mit Sonderapplaus.

Stifter des Fair Play Preises, der in der aktuellen Form seit 2011 verliehen wird und nicht dotiert ist, sind der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und der Verband Deutscher Sportjournalisten (VDS), die jedes Jahr Personen oder Initiativen ehren, die Respekt, Freundschaft und Solidarität auf und neben dem Platz vorleben. Und weil auch aus dem vergangenen Jahr wieder eine Vielzahl an preiswürdigen Handlungen zur Auszeichnung vorgeschlagen war, entschied die elfköpfige Jury, neben dem Hauptpreis auch zwei Sonderpreise zu verleihen. Einen davon erhielt Jürgen Klopp (57) für seine Entscheidung, den englischen Traditionsverein FC Liverpool, mit dem er 2019 die Champions League und ein Jahr später die englische Meisterschaft sowie die Club-WM gewinnen konnte, trotz laufenden Vertrags nach der Saison 2023/24 aus freien Stücken zu verlassen, weil ihm die Energie für den zehrenden Job fehlte.

3. Bundesweiter Trikottag 2025: Danke für Eure Unterstützung!

Als Michaela Röhrbein am Dienstagmorgen um 8.20 Uhr vor die Kamera trat, zeichnete sich bereits ab, dass der Trikottag wieder seine volle Wirkung entfalten würde. Die DOSB-Vorständin war eingeladen worden, vor einem Millionenpublikum im ARD-Morgenmagazin für die 86.000 Sportvereine im Land zu werben. Eine Möglichkeit, die sie dankend annahm.

„Heute geht es um Sichtbarkeit für unsere Sportvereine“, begann Röhrbein ihr Plädoyer. Denn das ist der Kern des Trikottages: Sichtbarkeit, Aufmerksamkeit und Wertschätzung für den Vereinssport an der Basis und für das, was er jeden Tag für unsere Gesellschaft leistet. Aber so sehr es am Dienstag um das Positive, das Gemeinschaftsstiftende ging, so ist der Trikottag auch dazu da, um auf die überlebenswichtigen Rahmenbedingungen hinzuweisen, die den Vereinssport am Laufen halten: „Es braucht mehr Anerkennung für das Ehrenamt und mehr Förderung für die Sportinfrastruktur im Land“, schloss Röhrbein deshalb nahtlos an.

Sportdeutschland trägt Trikot: Die Stimmen zum Trikottag 2025

Sportler*innen, Trainer*innen, Funktionär*innen, Politiker*innen und Engagierte haben am Dienstag ein gemeinsames Zeichen gesetzt – für den Vereinssport, für das Miteinander und für das Ehrenamt. In dieser Übersicht sammeln wir Stimmen aus Sportdeutschland, die zeigen, wie viel das Trikot bewegt - im Herzen wie in der Gesellschaft.

Thomas Weikert, DOSB-Präsident:
„Sport im Verein ist so beliebt wie nie, und das wollen wir am Trikottag feiern. Sportvereine sind besondere Orte, die uns zusammenbringen und die ein wertvolles Stück Gemeinsamkeit schaffen. Wir wollen darauf hinweisen, dass die Sportvereine mehr Unterstützung brauchen aus Politik und Gesellschaft. Wir alle können den Trikottag dazu nutzen, das zu würdigen und die Aufmerksamkeit darauf zu lenken.“

Michaela Röhrbein, DOSB-Vorständin Sportentwicklung:
„Heute geht es um Sichtbarkeit für unsere Sportvereine. Es braucht mehr Anerkennung für das Ehrenamt und mehr Förderung für die Sportinfrastruktur im Land.“

Christiane Schenderlein, Staatsministerin für Sport und Ehrenamt im Bundeskanzleramt:
„Das Trikot steht für Zusammengehörigkeit und Teamgeist. Zwei wichtige Säulen beim Sport und Ehrenamt. Der heutige Trikottag ist ein guter Tag, um für den eigenen Verein Flagge zu zeigen. Bei mir ist es der FC Eilenburg.“

Markus Söder, CSU-Vorsitzender und Bayerischer Ministerpräsident:
„Der Tag heute steht im Zeichen des Sports. Heute ist #Trikottag - und auch im Kabinett geht’s gleich um Sport und Olympia. Ich habe zum Trikottag etwas Besonderes rausgesucht: das 125-Jahre-Shirt vom 1. FCN. Als Nürnberger bin ich seit meiner Kindheit großer Club-Fan. Mein erstes Spiel im Stadion war damals mit meinem Vater - ein Derby gegen Bayreuth.“

Alexander Schweitzer, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz:
„Der Trikottag soll sichtbar machen, was Sportvereine wie die DLRG Emmelshausen tagtäglich leisten: Sie fördern die Gesundheit, verbinden Generationen, stärken Integration und Inklusion sowie den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Ohne die vielen Ehrenamtlichen wäre der Vereinssport nicht denkbar. Dafür gilt allen Beteiligten mein großer Dank.“

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF):
„Sport im Verein trägt nicht nur zur Gesundheit bei, er ist auch ein wichtiger Motor für Integration und Inklusion. Sportvereine sind Orte, an denen Menschen zusammenkommen - unabhängig von Alter, Herkunft, Geschlecht oder sozialem Hintergrund.“

Dimitrij Ovtcharov, fünffacher Tischtennis-Olympiateilnehmer und sechsfacher Medaillengewinner:
„Sport ist für mich das Schönste, was es gibt im Leben, und deshalb möchte ich allen Vereinen in Deutschland danken. Ich bin meinem ersten Verein, dem TSV Schwalbe Tündern, mit fünf Jahren beigetreten – in einem Dorf mit 2.000 Einwohnern, in dem gefühlt alle Vereinsmitglied waren und alle gemeinsam den Sport unterstützt haben. Ohne den Vereinssport würde es diese Gemeinschaft nicht geben.“

Hannes Ocik, ehemaliger Ruderer und zweifacher Silbermedaillengewinner bei Olympischen Spielen:
„Ich trage mit Stolz den Einteiler meines Heimatvereins, der Schweriner Rudergesellschaft, um beim 3. bundesweiten #Trikottag ein Zeichen zu setzen. Sport im Verein bedeutet für mich nicht nur körperliche Fitness, sondern auch Teamgeist, Disziplin und jede Menge Gemeinschaft. Die Zeit auf dem Wasser ist für mich Ausgleich und Antrieb zugleich - und mein Verein ist dabei wie eine zweite Familie. Ein riesiges Dankeschön an alle Ehrenamtlichen und Vereinsmitglieder, die tagtäglich den Sport in Deutschland möglich machen.“

Trikottag

Was ist der Trikottag?

Der Trikottag ist der nationale Feiertag für den Vereinssport in Deutschland. Er ist eine Aktion des DOSB und seiner Mitgliedsorganisationen. Beim Trikottag geht es darum, Sichtbarkeit für die Sportvereine zu schaffen und für das, was sie tagtäglich für die Menschen und für unsere Gesellschaft leisten. Sport im Verein trägt zur Gesundheit der Menschen bei, er verbindet, ist Motor für Integration und Inklusion und einer der ganz wenigen Orte, an denen Menschen noch zusammenkommen unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, sexueller Orientierung oder anderer Merkmale.

Jede Woche beteiligen und engagieren sich Millionen von Menschen in den 86.000 Sportvereinen in Deutschland. Dieses Engagement und diese Vielfalt wollen wir gemeinsam einen Tag lang auch im Alltag zeigen und sichtbar machen.

Vielfalt verbinden am Trikottag 2025

20. Mai 2025 - der nationale Feiertag für den Vereinssport. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hatte gemeinsam mit seinen Mitgliedsorganisationen zum dritten bundesweiten Trikottag aufgerufen. Unter dem Motto „Trikot an - Verein zeigen!“ waren alle 28 Millionen Menschen aus den bundesweiten Sportvereinen eingeladen, im Alltag - ob bei der Arbeit, in der Schule oder beim Einkaufen – die Farben ihres Vereins zu tragen und so ein sichtbares Zeichen für den Vereinssport zu setzen. 

Auch das Bundesprogramm „Integration durch Sport“ (IdS), gefördert durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und dem Bundesministerium des Innern (BMI), beteiligt sich aktiv an dieser Aktion. In den rund 1.500 programmnahen Vereinen, darunter 890 Stützpunktvereine, wird täglich gelebt, wofür das Trikot steht: Zugehörigkeit, Vielfalt und Engagement. Das Trikot symbolisiert nicht nur sportliche Treue zum eigenen Verein, sondern auch gesellschaftlichen Zusammenhalt und Teilhabe. 

Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist dabei: Am 20. Mai trugen die Mitarbeiter*innen Trikot - und zeigen damit nicht nur ihre Verbundenheit mit dem Sport, sondern auch ihr Engagement für Vielfalt und gelebte demokratische Werte im Verein. Als langjährige Förderer des Bundesprogramms „Integration durch Sport“ sendet das BAMF ein starkes Signal: Integration gelingt dort am besten, wo Menschen zusammenkommen - im Verein, auf dem Platz, im Trikot. 

Der Trikottag bietet eine hervorragende Gelegenheit, die integrative Kraft des Sports sichtbar zu machen und die wichtige Arbeit der IdS-Vereine hervorzuheben. Ob im ländlichen Raum oder in der Großstadt - am 20. Mai hieß es deshalb: Trikot an und Vielfalt zeigen! 

Mehr erfahren zum Bundesprogramm

„Die gemeinschaftsstiftende Wirkung eines Trikots ist extrem groß“

DOSB: Wir im organisierten Sport sprechen gern von den positiven Aspekten, die der Sport für die Gesellschaft haben kann. Welche drei sehen Sie als Sportsoziologe als die wichtigsten an, Herr Thiel?

Ansgar Thiel: Das kommt selbstverständlich auf die Perspektive an, aus der man schaut. Für mich steht die soziale Integration obenan, und zwar nicht nur die von Menschen mit Migrationshintergrund, sondern aller Menschen in einer Gesellschaft, die sich immer weiter diversifiziert. Dann die Gesunderhaltung, die sich nicht nur auf den Gesundheitssport im Speziellen, sondern auf den gesamten Sport erstreckt. Auch im Wettkampfsport wird das psychische Wohlbefinden massiv erhöht, die Wirkungen des gesamten Sportbereichs sind nachgewiesen und unbestreitbar. Und zuletzt, aber ebenso wichtig: Sinnstiftung. Im Sport kann man gleichermaßen Halt und Erfüllung durch Hingabe erleben. Damit kann der Sport dazu beitragen, dass Menschen zu sich selbst finden.

Michaela Röhrbein: Ich würde gern zwei Bereiche ergänzen. Der eine ist der Aspekt der Bildung. Vereinssport ist der größte nonformale Bildungsanbieter in Deutschland. Sportvereine bieten niedrigschwellige Bildungsangebote für Menschen jeden Alters und sozialen Hintergrunds und leisten damit einen entscheidenden Beitrag zum lebenslangen Kompetenzerwerb. Und wir lernen im Sport nicht nur die für ihn notwendigen Bewegungsabläufe, sondern auch Persönlichkeitsentwicklung, den Umgang miteinander und mit Sieg und Niederlage umzugehen, es werden Werte wie Leistung, Disziplin und Fairplay vermittelt, die in der Gesellschaft von großer Bedeutung sind. Das wichtigste Element ist für mich aber die Lebensfreude und die damit zusammenhängende Zufriedenheit, die durch Sporttreiben wachsen können.

„Ein freier Tag ist wirklich nichts Schlimmes“

Gelöst wirkt Emma Malewski, als wir sie im Auto auf dem Weg von Chemnitz, wo sie lebt und trainiert, nach Hamburg, wo sie herkommt und ihre Familie hat, auf dem Mobiltelefon erreichen. Und das hat einen einleuchtenden Grund: Am vergangenen Freitag hat die 20-Jährige, die sich bei den European Championships 2022 in München mit ihrer Goldmedaille am Schwebebalken in die Herzen der Fans turnte, am Sportgymnasium in Chemnitz ihre letzte mündliche Abiturprüfung absolviert. „Ist nicht so gut gelaufen wie erhofft, aber ich bin froh, dass die Anspannung jetzt erst einmal abfällt und ich ein paar Tage bei meiner Familie entspannen kann“, sagt sie. Von Mittwoch an geht es dann in die intensive Vorbereitungsphase für die Saisonhöhepunkte. 

DOSB: Emma, Ende des Monats steht in Leipzig die Heim-EM auf dem Programm. Warum war es für dich keine Option, dort an den Start zu gehen?

Emma Malewski: Ich hatte mir im Mai 2024 die Schulter ausgekugelt und musste im Juli wegen eines Knorpelschadens in der Schulter operiert werden. Sechs Wochen war ich in der Schiene und komplett bewegungsunfähig. Der Arzt meinte, es würde rund ein Jahr dauern, bis ich im Turnen wieder alles machen könnte, damit war das Thema EM beendet. Als nach meinen Wiedereinstieg ins Training alles gut lief, habe ich zwar doch nochmal kurz damit geliebäugelt, in Leipzig zu starten, aber durch den Abistress war ich mental ziemlich angespannt und konnte nicht so viel trainieren, wie nötig gewesen wäre, um auf das Niveau zu kommen, das man für eine EM braucht. Ich habe mir gesagt: Emma, Abi ist nur einmal im Leben! Also lag darauf der Fokus, denn eine gute Ausbildung ist für das Leben unverzichtbar. Außerdem habe ich auch gelernt, dass der Körper und die Gesundheit vorgehen sollten.

Die Schulterverletzung war ja nicht deine erste Zwangspause. 2023 hast du dir einen Tag vor der Abreise zur WM das Syndesmoseband im linken Sprunggelenk gerissen. Dein sportlicher Eintrag bei Wikipedia endet 2022. Was hast du aus dieser langen Leidenszeit mitnehmen können?

Vor allem, dass ich viel mehr bin als mein Sport. Ich war immer Emma, die Turnerin, ich dachte selbst, ich kann nur das und bin ohne meinen Sport gar nichts. Das habe ich hinter mir gelassen, ich definiere mich nicht mehr nur übers Turnen. Ich habe aber auch gelernt, wie wichtig mir mein Sport immer noch ist. Ich bin mit viel mehr Freude ins Training gegangen und habe mir neue Ziele gesteckt. Nach der Schulterverletzung hatte ich ans Aufhören gedacht, weil ich wirklich unsicher war, ob das noch einmal was werden könnte. Aber dann hat mich der Ehrgeiz gepackt, ich wollte unbedingt zurück in die Halle und wieder turnen. Ich habe gemerkt, dass ich noch nicht fertig bin. Ich weiß, dass ich dafür sehr hart arbeiten muss, denn ich habe wichtige Monate meiner Karriere verloren. Um im Sport ganz oben mitzuspielen, muss man alles danach ausrichten: Ernährung, Schlaf, Freizeit. In der Zeit, in der ich verletzt war, habe ich aber gespürt, dass ich das möchte, dass ich bereit dazu bin.

Wenn du dich nicht mehr nur über den Sport definierst: Was sind denn die Dinge, die du über dich gelernt hast, die den Menschen Emma Malewski auszeichnen und komplett machen?

Vor allem meine offene Art zu zeigen, dass ich ein ganz normales Mädchen bin, das Spaß am Leben haben möchte. Ein Mensch, der sich mit Freunden trifft, der auch mal feiern geht und Blödsinn im Kopf hat. Der nicht immer nur streng sich selbst gegenüber ist, denn dieses verkrampfte Fokussieren nur auf Leistung macht einen irgendwann kaputt. Ich kannte früher meine Grenzen nicht ausreichend, habe immer geglaubt, mehr und immer noch mehr machen zu müssen. Ich habe 13, 14 Einheiten in meine Woche gestopft, obwohl zehn die Regel sind, und mich dann gewundert, dass ich das Wichtigste manchmal nicht abrufen konnte, weil ich zu fertig war. Die erzwungene Auszeit hat mich endlich gelehrt, dass Regeneration eins der wichtigsten Elemente im Leistungssport ist. Ein freier Tag ist wirklich nichts Schlimmes, er ist sogar sehr wichtig. Das weiß ich jetzt. Ich bin ja auch älter geworden.

Das hört sich aus dem Mund einer 20-Jährigen kurios an.

Es stimmt aber, wenn man Turn-Maßstäbe anlegt. In München war ich 2022 die Jüngste im Team, ein Jahr später bei der WM wäre ich schon die Drittälteste gewesen. Und würde ich in Leipzig starten, wäre ich die Älteste. Aber vielleicht ist es passender, wenn ich sage, dass ich erfahrener geworden bin.

Die EM in München war dein Durchbruch, dennoch hat sie dich, wie du danach erzählt hast, auch überfordert. Wie schaust du heute, knapp drei Jahre danach, darauf zurück?

München war ja erst meine zweite EM im Erwachsenenbereich, die davor war gar nicht gut gelaufen. Ich war gerade erst 18 geworden, für mich war es ein Traum, dass ich neben dem Olympiateam stehen und sogar mit ihnen turnen durfte. Auf einmal gewannen wir Bronze im Team, die erste EM-Medaille für ein deutsches Frauenteam überhaupt. Schon das war für mich surreal. Als dann noch Gold am Schwebebalken dazu kam, wusste ich einfach nicht, wie ich damit umgehen sollte. Um ehrlich zu sein, habe ich es in dem Moment gar nicht verstanden. Ich habe auch nichts gefühlt, es war einfach nur überwältigend. Erst eine Woche später, im Urlaub, habe ich realisiert, dass ich Europameisterin bin. Heute bin ich extrem dankbar für diese Erfahrung. Ich habe mir damals eingeredet, dass ich die Medaille nur durch Glück gewonnen habe, dass ich gar nicht so gut bin. Aber das stimmt nicht. Sie war der Lohn für jahrelange, harte Arbeit, ich war an dem Tag auf den Punkt da, habe keine Fehler gemacht. Ich habe dieses Gold verdient. Ich konnte mir damit einen Traum erfüllen. Wie viele versuchen es, Europameisterin zu werden, und schaffen es nie? Da verbietet es sich, darüber zu klagen, dass es vielleicht etwas zu früh kam.

Du hast nach dem EM-Gold in München 2022 viel Kritik dafür einstecken müssen, dass du so viel auf Social Media unterwegs warst. Du hast das aber beibehalten und auch während der Verletzungszeit vieles aus deinem Leben preisgegeben. Warum ist dir das wichtig?

Ich habe damals viele Artikel darüber gelesen und war anfangs doch sehr getroffen, weil ich die Kritik nicht nachvollziehen konnte. Mittlerweile ist es mir längst egal. Ich bin auf Social Media so aktiv, weil ich der jungen Generation zeigen will, dass ich ein anderes Leben habe als die meisten Teenager, und dass Leistungssport auch viel mit Verzicht und Disziplin zu tun hat. Dass auch Dinge wie die Angst vorm Verlieren dazugehören, oder eben Phasen wie die der Verletzungen, in denen die Motivation im Keller ist. Mein Antrieb ist, den Jüngeren Mut zu geben, dass es wichtig ist, seine Ziele zu verfolgen. Ich bekomme dafür auch so viel Zuspruch, dass ich überzeugt davon bin, dass es keine Zeitverschwendung ist, sondern ein wichtiges Element, um andere für den Leistungssport zu begeistern und auch, um ein vollständiges Bild von sich zu zeigen.

„Integriert euch, benehmt euch, lernt die Sprache, aber vergesst eure Wurzeln nicht“

Nach Worten ringen müssen sie selten. Auch wenn es Robert und Artem Harutyunyan stets wichtiger war und ist, Leistung für sich sprechen zu lassen, halten sie Sprache für den Schlüssel zu vielem und sind um passende Antworten grundsätzlich nie verlegen. Aber auf die Frage, was an ihnen typisch armenisch sei, müssen die Brüder doch lange überlegen. Schließlich einigen sie sich auf die Herzlichkeit beim Empfang von Gästen. „In Armenien gilt noch der Grundsatz ‚meins ist deins‘. Die Schere zwischen Arm und Reich ist dort deutlich größer, aber selbst die Ärmsten teilen mit ihrem Besuch, was sie haben. Daran versuchen wir uns ein Beispiel zu nehmen“, sagt Robert, und Artem nickt zustimmend. 

Die Frage nach dem, was sie mit ihrem Geburtsland verbindet, ist deshalb so interessant, weil sich ohne Überlegen einige Eigenschaften aufzählen lassen, die sie stereotypisch zu Deutschen machen. Sie sind Disziplinfanatiker, vertrauen auf Recht und Ordnung, und wer sich um 11.00 Uhr mit ihnen in einem Café verabredet, kann davon ausgehen, fünf Minuten vor der Zeit eine Nachricht mit dem Hinweis zu erhalten, dass sie bereits in der Lokalität Platz genommen haben. Robert und Artem Harutyunan, das kann man ohne Pathos oder Übertreibung sagen, sind Musterbeispiele für eine gelungene Integration. Und weil sie den allerwichtigsten Teil davon im Boxen geschafft haben, sind die Hamburger Jungs die bestmöglichen Gesprächspartner, um im Rahmen des Diversity-Monats über das Thema Integration durch Sport zu reden.

1991 kamen die Brüder aus Armenien nach Deutschland

Robert (35) und sein ein Jahr jüngerer Bruder waren Kleinkinder, als sie 1991 mit ihren Eltern aus den armenischen Kriegswirren nach Deutschland kamen. In ein fremdes Land mit einer fremden Kultur, dessen Sprache sie nicht beherrschten. „Aber unsere Eltern hatten eine klare Vision. Sie wollten sich in diesem Land integrieren und ihren Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen. Mein Vater hat sich geweigert, Geld vom deutschen Staat anzunehmen. Er wollte auf eigenen Beinen stehen und hat uns das ebenfalls gelehrt“, sagt Artem. Dazu gehörte, dass die Eltern die beiden Söhne anwiesen, überall Deutsch zu sprechen. „Sprache ist der Schlüssel zu allem, das sagen wir auch allen Menschen, die in diesen Zeiten als Geflüchtete nach Deutschland kommen“, sagt Robert. 

Für die Brüder wurde der TH Eilbeck, in dem sie ihre ersten Erfahrungen im Boxen machten, zu einer zweiten Familie. „Im Sport haben wir die Werte gelernt, die uns zu dem gemacht haben, was wir heute sind“, sagt Artem, der 2016 in Rio de Janeiro die olympische Bronzemedaille im Halbweltergewicht gewinnen konnte, danach ins Profilager wechselte und nach der Trennung von seinem Hamburger Promoter Universum nun in Eigenregie versucht, eine weitere WM-Chance zu erkämpfen. Robert, der seine aktive Karriere vor fünf Jahren beendete, unterstützt seinen Bruder als Manager, arbeitet zudem als selbstständiger Trainer. Auch wenn sie mittlerweile beide verheiratet sind und Nachwuchs haben, gibt es die Harutyunyans geschäftlich weiterhin nur im Doppelpack. Gemeinsam waren sie immer schon stärker, und diese Kraft war notwendig, um auch die Täler zu durchschreiten, die das Thema Integration mit sich bringt.

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